24h-Lieferantenwechsel: DSAG-Umfrage zeigt Handlungsbedarf
Energieversorger erwarten zum 06.06.2025 massive manuelle Mehrarbeit
Eine aktuelle Umfrage der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG) unter Energieversorgern zeigt: Die Einführung des 24h-Lieferantenwechsels zum 06. Juni 2025 bringt große technische und organisatorische Herausforderungen mit sich. Prozesse zur Stammdatenpflege, Automatisierung und Qualitätssicherung bereiten Sorgen. 83 Prozent der befragten Unternehmen erwarten eine Umsetzung nur mit Einschränkungen.

Mit dem Inkrafttreten des beschleunigten werktäglichen Lieferantenwechsels (LFW24) zum 06. Juni 2025 stehen deutsche Energieversorger vor tiefgreifenden Veränderungen. Die DSAG-Umfrage des Arbeitskreises Energieversorger bringt jetzt konkrete Zahlen und Sorgen ans Licht – und bestätigt gleichzeitig viele der Einschätzungen, die bereits im Dezember 2024 geäußert wurden. In Zusammenarbeit mit der Initiative von 42 Energieversorgungsunternehmen wurden die Ergebnisse der Bundesnetzagentur (BNetzA) übersendet. Ein großer Dank der DSAG geht in diesem Zusammenhang nicht nur an alle beteiligten Energieversorgungsunternehmen, sondern auch insbesondere an Dr. Maximilian Engelbracht, Abteilungsleiter für Netznutzungsmanagement, Qualitätssicherung und Prozessoptimierung bei E.ON. Er hat sich um die schnelle und konstruktive Zusammenarbeit mit der BNetzA verdient gemacht hat.
26 Millionen Marktlokationen betroffen – Mehrheit erwartet Probleme
42 Unternehmen haben sich an der DSAG-Umfrage beteiligt, die gemeinsam 26.311.543 Marktlokationen abdecken. Die Mehrheit der Unternehmen übernimmt dabei mehrere Marktrollen – 28 Prozent agieren als Netzbetreiber/grundzuständige Messstellenbetreiber (gMSB), 24 Prozent als Lieferanten/wettbewerblicher Messstellenbetreiber (wMSB), und 48 Prozent nehmen beide Rollen gleichzeitig wahr. Technologisch setzen 83 Prozent der befragten Unternehmen noch auf SAP ERP ECC als Betriebssystem, während nur etwa 17 Prozent bereits auf SAP S/4HANA migriert sind.
Die geringe Anzahl der Energieversorgungsunternehmen, die S/4HANA einsetzt, ist insofern relevant, da der 24h-Lieferantenwechsel nur unter S/4HANA mit der von SAP empfohlenen Standardlösung sauber umgesetzt werden kann. „Unternehmen, die weiterhin mit SAP ERP ECC arbeiten, müssen oft mit Eigenentwicklungen, Partnerlösungen oder Workarounds agieren – was die Komplexität der Umsetzung erhöht und Testbarkeit, Automatisierung und Stabilität der Prozesse deutlich einschränkt“, so Dr. Frank Schmidt, DSAG-Arbeitskreissprecher Energieversorger.
Fristverschiebung reicht nicht – strukturelle Defizite bleiben
Auf die zentrale Frage, ob die Vorgaben der Bundesnetzagentur (BNetzA) fristgerecht umgesetzt werden können, antworteten 76 Prozent, dass dies nur mit Einschränkungen möglich sei. Knapp 17 Prozent bejahten und 7 Prozent verneinten die fristgerechte Umsetzung. Damit rechnen mehr als 83 Prozent der Befragten mit Problemen oder Einschränkungen – ein klares Warnsignal für die Branche und den Gesetzgeber.
Bereits mit der Fristverlängerung vom 04. April 2025 auf den 06. Juni 2025 räumte die BNetzA den Unternehmen mehr Umsetzungszeit ein. Doch wie die DSAG-Umfrage zeigt, empfinden 81 Prozent der Unternehmen diese Verschiebung als unzureichend. Aus Sicht der DSAG ist diese Entwicklung nicht überraschend. „Schon im Dezember 2024 haben wir gewarnt, dass wir eine Umsetzung bis zum 06. Juni ohne ein marktweit abgestimmtes Übergangsszenario für unrealistisch halten“, so Schmidt. Denn die Kombination aus komplexen Systemanforderungen, fehlender Testabdeckung und knappen Ressourcen führt ohne Übergangsregelung zu Instabilitäten im Markt.
Prozessdefizite und fehlende Automatisierung gefährden Marktstabilität
Probleme erwarten die Unternehmen bei den Prozessen zum Lieferbeginn und zur Stammdatenpflege, aber auch bei der Marktlokations- (MaLo) Identifikation insbesondere an der Schnittstelle zwischen den Cloud-Lösungen, die die MaLo-Identifikation sicherstellen und den On-Premises-SAP-Systemen. Besonders wird aber auf Korrekturprozesse bei Fehlern mit hoher Komplexität verwiesen, was erneut zeigt, dass Prozesse nicht nur idealtypisch betrachtet werden dürfen. Hinzu kommen mangelhafte Automatisierung, unzureichendes Monitoring sowie das Fehlen umfassender Massentests und Tests mit Marktpartnern. Diese Herausforderungen führen zu einer angespannten Projektlage bei fast allen teilnehmenden Unternehmen. „Ohne stabile Prozesse, Tests und realistische Fristen ist eine qualitätsgesicherte Umsetzung kaum möglich. Die Komplexität ist enorm und bedarf eigentlich unternehmensübergreifender Tests, für die vielen die Zeit fehlt.“, sagt Schmidt.
Hoher Aufwand, steigende Kosten und sinkende Kundenzufriedenheit
Um die regulatorischen Anforderungen dennoch zu erfüllen, setzen die Unternehmen auf zahlreiche Maßnahmen, wie:
- Sicherstellen eines professionellen Projektmanagements
- Umfassende Tests und Anlaufkonzepte
- Schulungen und Mehrarbeit beim Personal
- Bindung externer Berater und IT-Ressourcen
- Enge Abstimmung mit SAP, Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. (BDEW) und Marktpartnern
Die DSAG rechnet mit einem signifikanten Anstieg manueller Tätigkeiten zur Fehlerbehebung und erwartet dadurch eine sinkende Kundenzufriedenheit. Zudem wird ein deutlicher Mehraufwand beim Clearing prognostiziert – besonders problematisch im Kontext des gleichzeitig laufenden Smart-Meter-Rollouts. „Die Unternehmen stehen unter großem Druck, Ressourcen massiv aufzustocken – intern wie extern. Das bedeutet nicht nur steigende Kosten, sondern auch eine hohe Belastung der Belegschaft und potenziell sinkende Servicequalität für die Endkundschaft“, ordnet Schmidt ein.
Gefahr für die Marktprozesse – Übergangsszenario gefordert
Im Beitrag „Teilerfolg beim Lieferantenwechsel“ vom 21. Januar 2025 hatte die DSAG zwar die Verlängerung der Frist begrüßt, jedoch gleichzeitig betont, dass der Gesetzgeber für eine realistische Entlastung „strukturelle Klarheit und technische Sicherheit im künftigen Änderungsprozess“ schaffen müsse. Die aktuellen Umfrageergebnisse untermauern diese Forderung nachdrücklich. Aus DSAG-Sicht ist eine marktübergreifende Bewertung der Situation durch die BNetzA nach dem 06. Juni dieses Jahres unerlässlich – inklusive einer unterstützenden Kommunikation. „Es ist essenziell, dass mit Augenmaß auf mögliche Kundenbeschwerden reagiert wird und den Energieversorgungsunternehmen darf trotz nachweislich engagierter Umsetzung nicht mit Sanktionen geschadet werden“, fordert Schmidt.
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