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Classic ABAP-Add-ons: Abkündigung der Zertifizierung – und jetzt?

Die plötzliche Bekanntgabe von SAP im November 2023, keine Neuzertifizierungen von Classic (klassischen) ABAP-Add-ons mehr zuzulassen, war zwar zu erwarten, und trotzdem für viele Partner ein herber Schlag. Im Oktober 2024 sorgte die Veröffentlichung des „Clean Core Extensibility Guide for S/4HANA Cloud“ für die nächste unschöne Überraschung.

Schildern Sie uns doch bitte die Hintergründe rund um die klassischen ABAP-Add-ons und wie es zu der Abkündigung der Zertifizierungen kam.

Martin Fischer: Dafür muss ich etwas ausholen. Mit dem On-Premises-System SAP Enterprise Resource-Planning Central Component (SAP ERP ECC) ließen sich ABAP-Add-ons direkt auf dem ECC-Server installieren. Die von uns Partnern programmierten Software-Lösungen und -Erweiterungen wurden also unmittelbar in das ECC-System eingebunden. Das führte bei Updates von SAP ECC zuweilen dazu, dass die Add-ons plötzlich nicht mehr zum System passten. Ein Problem, das SAP erkannt hat und dem der Software-Konzern mit seiner Clean-Core-Strategie begegnet: SAP-Plattform und Add-ons sollen künftig sauber voneinander getrennt sein. Eine Integration der Add-ons in das System soll nur noch über klar definierte Schnittstellen möglich sein. Dieser Schritt ist auch wichtig mit Blick auf SAPs Cloud-Pläne. Denn um für S/4HANA Cloud, Public und Privat Edition künftig automatisiert Updates ausspielen zu können, muss das ERP-System „sauber“ bleiben. So weit, so nachvollziehbar.

Wie zeigen sich die Cloud-Pläne von SAP in der Praxis? Und inwiefern betreffen sie die Add-ons?

Seit dem Release von SAP S/4HANA Cloud, Public Edition im August 2022 gibt es Embedded Steampunk – also die Möglichkeit, Public-Cloud-konforme ABAP-Add-ons auf dem S/4HANA-System zu entwickeln. Seit Oktober 2022 ist Embedded Steampunk auch für Anwender von S/4HANA Private Cloud und S/4HANA On-Premises verfügbar. Das erlaubt es, Add-ons im Sinne von Clean Core nach den Standards für die Public Cloud zu entwickeln. Das heißt, On-Stack-Erweiterungen, die in einer Private-Cloud- oder On-Premises-Umgebung programmiert wurden, können bei einem späteren Wechsel in die S/4HANA Public Cloud problemlos übernommen werden. Eine tolle Innovation und bis dato schöne Option. Denn viele Kunden setzen S/4HANA On-Premises ein und verlassen sich auf die Wartungszusage von SAP bis 2040. Entsprechend bieten auch viele Partner weiterhin ihre klassischen ABAP-Add-ons an. Wichtig an der Stelle zu betonen ist: Diese Add-ons lassen sich Partner von SAP zertifizieren. Die SAP-Zertifizierung ist – wie eine Art Gütesiegel – für die meisten Kunden Voraussetzung dafür, dass sie Partner-Lösungen installieren.

Worin besteht konkret die Problematik für die Partner?

Im November 2022 folgte die nächste Neuerung: SAP kündigte mit ABAP Cloud die neuste Version der ABAP-Programmiersprache an. Auch das keine überraschende Nachricht im Zuge der SAP-Cloud-Strategie. Allerdings steht sie nur Nutzer:innen uneingeschränkt zur Verfügung ab SAP S/4HANA Release 2022 – der erste Knackpunkt.

Dazu kam ein Jahr später, im November 2023, die Ankündigung, dass SAP die „Classic ABAP-Add-on-Zertifizierung“ abkündigt. Ohne Vorwarnung wurden wir Partner informiert, dass neue Zertifizierungen für ABAP Add-ons für S/4HANA von heute auf morgen nach den bis dato bekannten Kriterien nicht mehr möglich sind. Bereits SAP-zertifizierte ABAP-Add-ons können bis Q3 2025 nur noch einmalig rezertifiziert werden. Ein harter Schlag, denn oft fließen mehrere Jahre Entwicklungszeit in solche Lösungen.

Welche Alternative bietet SAP den Partnern dafür? Wie soll es rund um die Zertifizierungen weitergehen?

Nach einer Hängepartie von rund vier Monaten, in denen unklar war, wie eine neue Zertifizierung überhaupt aussehen soll, wurde die „Clean-Core-Zertifizierung“ im März 2024 schließlich veröffentlicht. Sie gibt vor, dass Add-ons nur noch über vorgegebene Schnittstellen, also APIs (Application Programming Interface), angebunden werden dürfen. Für Partner, die diesen Schritt gehen möchten, führt der Weg über die neuste Sprachversion ABAP Cloud. Allerdings bedeutet dies in allen mir bekannten Fällen eine komplette Neuimplementierung des jeweiligen Add-ons. Eine automatisierte Migration auf die neue Sprachversion ist nicht möglich. Hinzu kommt, dass die benötigten APIs noch nicht in ausreichender Menge verfügbar sind. Viele Partner stehen somit vor der Frage, wie sie Add-ons mit zum Teil großer Kundenbasis zeitnah neu implementieren sollen. Dafür muss zunächst der entsprechende Business Case gegeben sein und dann gilt es, das entsprechende Know-how aufzubauen – ein äußerst zeitintensives Projekt. Doch Zeit bleibt den Partnern nun nicht.

Zumal die nächste unschöne Überraschung nicht lange auf sich warten ließ. Im Oktober 2024 publizierte SAP den „Clean Core Extensibility Guide for S/4HANA Cloud“. Darin empfiehlt der Software-Konzern seinen Kunden ausdrücklich, nur noch Add-ons zu installieren, die nach der neuen Vorgabe zertifiziert sind. Wie weit weg von der Realität dieser Hinweis ist, wird mit Blick ins SAP Certified Solution Directory deutlich: Es gibt derzeit gerade einmal acht Add-ons, die diese neue Clean-Core-Zertifizierung geschafft haben.

Was bedeutet die aktuelle Situation für die Partner, aber auch für die Anwender? 

Für manche Partner ist die derzeitige Situation existenzbedrohend. Schließlich wird ihren bisherigen Entwicklungslösungen quasi der Status aberkannt – die Produkte, mit denen sie Umsatz machen. Die Umstellung eines existierenden On-Stack-Add-ons auf die ABAP Cloud kommt einer Neuimplementierung gleich und bedeutet enorm viel Ressourcenaufwand. Gleichzeitig ist eine technische Machbarkeit nicht garantiert. Dazu kommt, dass die technischen Neuerungen, die SAP mit den Zertifizierungen vorgibt, auch weiteres Know-how voraussetzen. Dieses müssen sich die Partner nun innerhalb kürzester Zeit aneignen.

Insbesondere die unglückliche Kommunikation sorgt für viel Unsicherheit und Frust sowohl bei uns Partnern  als auch bei den SAP-Anwendern. Anwender müssen sich nun zwangsläufig fragen: Wie geht es weiter? Ist künftig der Einsatz von nichtzertifizierten Add-ons eine Option? Wie sollte man mit bereits gekauften Erweiterungen umgehen? Schließlich gilt für SAP S/4HANA eine Wartungszusage bis 2040. Damit haben Anwender auch monetär geplant. Sie haben die Add-ons mit der Erwartungshaltung erworben, diese viele Jahre lang betreiben zu können. Folglich trifft die Abkündigung der Zertifizierung Partner und Kunden hart.

Welche Konsequenzen ziehen Sie aus diesem Vorgehen von SAP für den Moment und für die Zukunft?

Mit Maßnahmen wie diesen zeigt der Software-Konzern, wie ernst er es mit seiner Cloud-Strategie meint – den Takt gibt SAP vor, ohne den Partnern und Anwendern die nötige Planungs- sowie Vorbereitungszeit zu geben. Kritisch ist nicht nur die ausbleibende Kommunikation und dass wir von jetzt auf gleich vor vollendete Tatsachen gestellt werden, sondern insbesondere, dass wir uns offensichtlich auf die kommunizierten Fristen auch nicht verlassen können. Das zeigt das Vorgehen bezüglich des neuen „Clean Core Extensibility Guide for S/4HANA Cloud“. Das lässt Partner und Nutzer:innen ernüchtert und verärgert zurück.

Um uns aktuell und für die Zukunft aufstellen zu können, brauchen wir von SAP klare und vollumfängliche Informationen, wie es mit den klassischen ABAP-Add-ons weitergeht – inklusive einer verlässlichen Timeline. Wird es möglich sein, Add-ons ohne Clean-Core-Zertifizierung in einem RISE-Set-up zu installieren und zu betreiben? Es muss klar sein, welche APIs und Objekte künftig für ABAP Cloud freigegeben werden und vor allem wann. Kommuniziert werden muss außerdem, welche Add-ons in welchen Szenarien (weiterhin) unterstützt werden. Unabdinglich ist eine Dokumentation der Zertifizierungsbedingungen in einem offiziellen Papier mit Änderungshistorie. Ein Verweis auf Blog-Posts in der SAP-Community, wie im aktuellen Zertifizierungsleitfaden, ist aus meiner Sicht völlig unzureichend. Und last, but not least: Wir Partner sollten deutlich mehr Befähigung für die Re-Implementierung in ABAP Cloud bekommen. Ich befürchte, dass vielen Partnern die aktuelle Situation noch gar nicht bewusst ist. Aktuelles Wissen ist sicher eine Holschuld der Partner, aber der Wissensaufbau bei uns ist für das ganze SAP-Ökosystem wichtig. Viele Kunden setzen auch auf SAP, weil es so viele landes- und branchenspezifische Lösungen von Partnern gibt!

Fakt ist schon jetzt: Die Ressourcen, die Partner nun für das Zertifizierungsthema aufwenden müssen, können sie nicht an anderer Stelle nutzen – zum Beispiel wenn es um die Entwicklung neuer Funktionalitäten geht. Damit dürften die Hauptleidtragenden die Kunden sein.   

Der DSAG-Partnerbeirat setzt sich für diese und weitere Partnerinteressen ein – und steht in direktem Kontakt zu SAP. Wer mehr über ABAP-Add-ons, Zertifizierungen & Co. erfahren möchte, ist im Partnerforum im DSAGNet richtig. Dort findet auch ein engmaschiger Austausch zu aktuell für Partner relevanten Themen statt.

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