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New Work: Mehr als heiße Luft?

Bereits seit den 1980er Jahren wird die „New-Work“-Bewegung diskutiert.

Welche Aspekte von New Work sind in den letzten drei bis fünf Jahren bzw. bis heute realistischerweise wirklich neu und was ist nur heiße Luft?

Carsten Schermuly
Carsten Schermuly, Vizepräsident für Forschung und Transfer an der SRH Berlin University of Applied Sciences und Direktor des Institutes for New Work and Coaching (INWOC)

Wann dachten Sie: „Das ist New-Work-Utopia“ bzw. „Das ist New-Work-Dystopia“?

Was meinen Sie damit?

Berater:innen und Unternehmen nutzen New Work wie eine Art „Schleife“ um ganz viele normale Transformationsprozesse herum. Ein Beispiel: Wenn ein Unternehmen auf Open-Space-Büros umstellt, weil die Mitarbeitenden kaum noch vor Ort sind und sich so Miete sparen lässt, muss das nicht als New-Work-Transformationsprozess verkauft werden, sondern kann den Mitarbeitenden einfach transparent gemacht werden. Mir sind viele Menschen begegnet, die sich von so etwas veräppelt gefühlt haben – und das zurecht. Es war für mich neu und sogar schmerzhaft, dass der Begriff New Work, der ja eigentlich wahnsinnig positiv für Arbeitnehmende sein sollte, auf einmal sehr negativ betrachtet wird.

Was bedeutet „New Work“ für Sie?

Für mich umschreibt New Work Maßnahmen, die das Ziel haben, das psychologische Empowerment zu fördern. Dazu zählen das Erleben von Sinn, Selbstbestimmung, Einfluss und Kompetenz der Mitarbeitenden während der Arbeit. Dieses Erleben löst viele positive Konsequenzen aus, die für die Zukunft der Arbeit wichtig sind, wie z. B. Proaktivität. Das ist eine evidenzbasierte Zielsetzung, mit der Unternehmen gut für die Zukunft aufgestellt sind. Es ist wichtig, dass New Work aus der Zukunft gedacht wird – und dann kann es für Unternehmen auch ganz Unterschiedliches bedeuten.

Können Sie bitte noch etwas konkretisieren, welche Beziehung Sie zwischen „psychologischem Empowerment“ und „New Work“ sehen?

In den 1970er bzw. 1980er Jahren hat sich der Sozialphilosoph Frithjof Bergmann eine Gesellschafts-Utopie als dritten Weg zu Kommunismus und Kapitalismus überlegt. Dabei hat er auf der gesellschaftlichen Ebene gedacht und weniger auf der Unternehmens- bzw. Organisationsebene oder auf der Individualebene. Hier docken wir mit dem psychologischen Empowerment an, das in den 1990er Jahren erstmals formuliert und erforscht wurde. Beides zusammen zeigt, dass von „neuer Arbeit“ auch erwartet wird, dass Menschen zufriedener arbeiten, dass sie innovativer werden, und dass gesundheitliche Aspekte positiv beeinflusst werden. Die konkreten Maßnahmen bzw. Methoden kommen erst zum Schluss.

Wie meinen Sie das?

Ich muss mich in meinem Unternehmen immer auch fragen, welche Methoden mir eigentlich helfen und welche nicht. Menschen zu ermächtigen, kann bei einem Großunternehmen etwas anders bedeuten als bei einem Mittelständler oder einem Start-up. Es ist wichtig offen zu sein und Schritt für Schritt zu analysieren, was zu meiner Organisation passt, um das Erleben von Empowerment zu fördern.

Wenn Sie einen Elevator-Pitch zum Thema „psychologisches Empowerment“ halten müssten: Wie würde dieser lauten?

Ich würde den Blick in die Literatur und in die Studien dazu empfehlen. Hier gibt es mittlerweile Studien, die zusammenfassen, dass sich psychologisches Empowerment auf Arbeitszufriedenheit, auf Innovationsverhalten und auf geringere Fluktuation im Unternehmen auswirkt. Unsere eigenen Studien belegen, dass die Depressionsneigung von Menschen sinkt, wenn sie die genannten vier Facetten von Empowerment erleben. Menschen, die psychologisches Empowerment erfahren, gehen erst später in Rente und wenn sie in Rente gehen, suchen sie sich oft ein Ehrenamt, um psychologisches Empowerment zu erleben. Das sind Dinge, die Unternehmen brauchen – zufriedene, eine Bindung an die Organisation empfindende Mitarbeitende, die weniger gestresst sind, proaktiv handeln und innovativ arbeiten. Unternehmen können die VUCA-Welt gut bewältigen, wenn sie hier fördern.

Work-Life-Balance, Flexibilität, flache Hierarchien, 4-Tage-Woche, agile Projektarbeit: Sind das mehr als nur schicke Wörter?

Agile Projektarbeit ist zunächst etwas, das Unternehmen helfen kann, innovativ zu sein bzw. zu bleiben. Wir haben eine Metaanalyse zu agiler Projektarbeit durchgeführt, die zeigt, dass es im Mittel deutlich innovationsfördernd ist – allerdings nicht unbedingt gesundheitsförderlich. Unsere Daten belegen nicht, dass die Mitarbeitenden psychisch gesünder aus agiler Projektarbeit hervorgehen. Das ist abhängig davon, auf welche Kultur man hier trifft und welche Menschen bzw. Persönlichkeiten agil an Projekten arbeiten. Per se ist agile Projektarbeit sinnvoll – ob sie nun wiederum „New Work“ genannt werden muss, bezweifle ich. Schließlich ist auch diese Methode schon seit der Veröffentlichung des agilen Manifests vor 20 Jahren bekannt und nicht mehr wirklich „neu“.

Wo sehen Sie Unternehmen aktuell noch in der Bringschuld?

Häufig fangen Unternehmen mit einer Methode wie agiler Projektarbeit an und das geht dann schief. Ich empfehle im ersten Schritt New Work aus der Zukunft zu denken. Ich sollte in die kommenden drei bis vier Jahre blicken und sehen, was auf mein Unternehmen zukommt. New Work hat einen zukunftsausgerichteten Charakter. Hier gilt es zu analysieren, wie sich die Arbeit im Unternehmen verändern wird z. B. durch die Digitalisierung. Im zweiten Schritt empfehle ich zu analysieren, welche organisationspsychologischen Voraussetzungen man für die Zusammenarbeit in der Zukunft benötigt. Hier könnte psychologisches Empowerment ein wichtiger Bestandteil sein. Im dritten Schritt empfehle ich, in die Diagnostik zu gehen.

Was meinen Sie damit?

Wenn Sie zum Arzt gehen, wird in der Regel nicht direkt operiert, sondern es werden Methoden eingesetzt, um herauszufinden, was Sie haben. Ich empfehle jedem Unternehmen, das auch zu tun und dieses „Psychologische-Empowerment-Erleben“ messbar zu machen und mit anderen Organisationen zu vergleichen. Auf diese Weise kann ich herausfinden, ob die Problematik im Unternehmen das Sinn-Erleben, das Einfluss-Erleben, das Selbstbestimmungs-Erleben oder das Kompetenz-Erleben ist. Erst danach sollten Methoden ausgewählt werden, um das Empowerment-Erleben gezielt zu fördern. Die Ergebnisse sind oft überraschend für die Geschäftsführung. Danach empfehle ich, in den Dialog mit den Menschen zu treten. Zurück zur Ausgangsfrage bedeutet das: Ich sehe Unternehmen in diesem systematischen Vorgehen in der Bringschuld. Aus der Berater-Szene heraus werden oft Methoden getrieben und Unternehmen übergestülpt, ohne sich systematisch mit der Zukunft und der Psychologie im Unternehmen auseinandergesetzt zu haben.

Welche drei Regeln für das neue Arbeiten vermissen Sie am meisten?

Es ist gut beim Thema New Work überhaupt über Regeln zu sprechen. Geregelte Freiheit tut Unternehmen sehr gut. Sie bedeutet für mich, dass vor allem auch die Selbstbestimmung geregelt wird. Geregelte Freiheit heißt: Es gibt sinnvolle, zielgerichtete Regeln, die auch abschaffbar sind. Die können je Unternehmen individuell sein. Es braucht Leitplanken und innerhalb dieser können sich die Mitarbeitenden frei bewegen – und sie im Notfall auch überschreiten. Am besten erarbeiten diese Regeln Teams.

Welche Anfragen von Unternehmen erhalten Sie als Trainer und Organisationsberater im Zusammenhang mit New Work?

Ich werde häufiger als Wissenschaftler angefragt, doch es kann sich auch mal Organisationsberatung daraus entwickeln. Das ist zumeist dann der Fall, wenn Unternehmen gescheitert sind. Sie haben dann oft Methoden wie agiles Projektmanagement angewendet und mussten feststellen, dass das allein nicht gut funktioniert. Dann beginnt die Ursachenforschung und es muss herausgefunden werden, was schiefgelaufen ist, und an welcher Stelle vielleicht die falschen Methoden eingesetzt wurden. Ich werde auch oft für Keynotes zu Empowerment und New Work angefragt. Hier ist das Interesse am Forschungsstand hoch, und das finde ich vernünftig. Im organisationspsychologischen Bereich wird viel zu selten auf den aktuellen Forschungsstand eingegangen. Vielmehr werden hier Dinge angewendet, die schon nicht mehr aktuell sind. Oft arbeiten Unternehmen auch bereits hybrid zusammen und die Begriffe New Work und Homeoffice dominieren, doch richtig funktioniert es noch nicht.

Welche Rolle spielt Digitalisierung beim Thema New Work?

In New-Work-Utopia und -Dystopia ist die Digitalisierung wesentlich. In New-Work-Utopia habe ich eine utopisch menschenfreundliche Künstliche Intelligenz (KI) entworfen, die Menschen hilft, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren – auf Kreativitätsarbeit, Kommunikation und Kooperation. Hier kuratiert die KI, sie übersetzt simultan, sie schreibt Protokolle und befreit Menschen vom alltäglichen kognitiven Ballast. Sie bringt Menschen zusammen. Kurz: Sie ist Arbeitenden dienlich. In der Dystopie wurde für die KI ein Geschäftsführer betrachtet, seine Dokumente gescannt und alle im Unternehmen müssen wie der Geschäftsführer führen. Die KI wird eher als Kontrollinstrument genutzt, um eine Standardisierung des Verhaltens im Sinne des Geschäftsführers zu erreichen. Hier zeigt sich, was ich bei New Work ganz wichtig finde: Es kommt darauf an, mit welchen Werten, welcher Kultur, welcher inneren Haltung ich an das Thema herangehe.

Vielen Dank für das Gespräch!