Back to frontpage
Startseite Formate Textbeiträge Das tägliche Übel

Das tägliche Übel

Retouren sind mittlerweile millionenfacher Standard und gleichzeitig der Stachel im Fleisch vieler Unternehmen.

Das tägliche Übel

Wenn Amazon und Otto ächzen, kann Tanja Lugert, Business-Process-Managerin bei Roche Diagnostics und stellvertretende DSAG-Arbeitskreissprecherin Vertrieb/Sales, nur milde lächeln. Zwar hat das Schweizer Pharma-Unternehmen deutlich weniger Retouren zu bearbeiten als die beiden E-Commerce-Riesen, im Gegensatz dazu verursachen sie aber deutlich mehr Arbeit. Denn für Produkte der Chemie- und Pharmabranche gelten deutlich schärfere Spielregeln, Nachweise und gesetzliche Vorschriften, z. B. hinsichtlich Haltbarkeit und Kühlkette, als für T-Shirts und Thermoskannen.

Bild Werk, Roche
Ob Forschung, Entwicklung, Produktion, Logistik oder Vertrieb:
Der Mannheimer Standort ist an der gesamten Wertschöpfungskette beteiligt.

Retouren sind kein Standardprozess

Tanja Lugert ist seit vielen Jahrzehnten beim Baseler Pharma- und Diagnostikkonzern beschäftigt, kennt Produkte und Abnehmer:innen bis ins letzte Detail. Während der Covid-19­-Pandemie hat sie aber auch viel Neues dazugelernt: „Wir unterscheiden zwischen Produkten, die routinemäßig bestellt werden, wie z. B. Standardreagenzien für die Blutanalyse oder Schnelltests für die Arztpraxis, und Produkten, die spontan geordert werden, etwa Corona-Tests. Typische Fehler passieren dabei immer wieder: manuelle Eingabefehler, Kund:innen bestellen falsche Produkte, das Paket wurde falsch gepackt oder es gab einen Transportschaden durch Bruch oder eine Unterbrechung der Kühlkette bei sensiblen Produkten. Alles Gründe, warum Pakete wieder bei uns landen.“

Vom Verkauf bis zum Versand haben Produkte einen weiten Weg hinter sich.

Niedrig, aber nervig

Auch wenn die Retourenquote sehr niedrig ist – aktuell gibt es zu ca. 1,45 Prozent der Aufträge Rücksendungen –, gilt für Tanja Lugert und ihre Kolleg:innen: „Wir wollen überhaupt keine Retouren!“ Um die Ursachen zu analysieren und abzustellen, entschied das Unternehmen bereits vor ein paar Jahren, SAP Advanced Return Manager (ARM) einzuführen. Damit wurden u. a. Abläufe wie Standardretouren mit Vernichtung und mit Rücklieferung an Lieferanten, Bruchsendungen mit direkter, kostenloser Ersatzlieferung, die Beauftragung eines Dienstleisters zur Abholung oder auch die Integration im Intracompany-Prozess sowie ins Customer-Relationship-Management (CRM)-System erfolgreich abgedeckt.

Tanja Lugert, Business-Process-Managerin bei Roche Diagnostics und stellvertretende Arbeitskreissprecherin Vertrieb/Sales.

„Die Funktionalität hat uns 2017 schon sehr weitergeholfen. Ein paar Eigenentwicklungen waren dennoch nötig, wie z. B. für eine Nachricht an die Spedition direkt aus dem Auftrag inklusive Gefahrgutdaten, eigene Felder für Claim-Data zur Identifizierung inklusive Suchhilfe oder ein eigener Partner für die Abholadresse. All das hat die Lösung für uns dann runder gemacht“, fasst Tanja Lugert zusammen. Somit konnten Retouren einheitlicher und schneller bearbeitet werden, Prozesse wurden transparenter, auch dank einer direkteren Kommunikation mit bspw. Speditionen sowie optimierten Recherchemöglichkeiten. Entsprechend hat sich die Zahl der Retouren seit Einführung von SAP ARM um ca. 30 Prozent reduziert.

Zeitfresser Retoure

Und dennoch: Luft nach oben ist immer, das weiß auch die Business-Process-Managerin. „Wir hatten viel erreicht, wollten aber noch mehr. Das gehört zum Berufsbild, denn innerhalb unserer Funktion checken wir kontinuierlich, wie Geschäftsprozesse gelebt werden, welche Spielregeln gelten und wo es weh tut – und an welcher Schraube wir drehen können, damit es besser wird“, erklärt Tanja Lugert. Im Zusammenhang mit dem Projekt „Contract-Execution“ mit Going-live im Sommer 2022 wurde das Thema Retouren erneut aufgegriffen. Insbesondere Retouren zu Aufträgen im so genannten periodischen Erlösrealisierungs-Szenario (Revenue-Recognition-Szenario), aber auch Retouren von Sets (Vertriebsstücklisten) stellten Roche Diagnostics vor neue Herausforderungen.

Neue Aufgaben in 2022

„Uns war wichtig, dass wir im ERP frühestmöglich ein Next-Level-Vertrags-Management implementieren“, sagt Tanja Lugert. „Denn unser Produktportfolio ist groß, wir liefern nicht nur Produkte und Analysegeräte, sondern bieten auch passende Finanzierungen an. Hier müssen die Erlöse immer zu den entsprechenden Verträgen gebucht werden, und dies war bis dato nur aufwendig abbildbar.“ Hinzu kam, dass teils simple Fragen langwierige Prozesse nach sich zogen, denn die Antworten waren nicht definiert. „Bestellt ein Kunde oder eine Kundin die falsche Ware, erhält er oder sie dann eine Gutschrift oder nicht? Buchen wir nur die Menge zurück oder auch die Summe?“, erklärt die BPM-Expertin.

Automatismus statt alleine machen

Wichtig war ihr und ihrem Team zudem die Flexibilität, bei Bedarf jeweils pro Position entscheiden zu können, was zu tun ist. Andererseits war es ein großer Wunsch, Automatismen einzuführen, um den Aufwand wo möglich gering zu halten.

„Heute sind wir so aufgestellt, dass, wenn das Dienstleistungsunternehmen ein beschädigtes Paket meldet, die Retoure direkt aus dem ARM angestoßen wird. Sprich, die Kund:innen erhalten eine kostenlose Nachlieferung, ohne vom Problem überhaupt etwas mitbekommen zu haben“, sagt Tanja Lugert und ist sehr überzeugt von der Funktion, „denn inzwischen können wir zu all unseren Lieferungen in der Vertriebsgesellschaft in Deutschland mit und ohne Vertragsbezug effizient und korrekt buchen, inklusive aller benötigten Folgebelege wie z. B. Gutschrift, Vernichtung oder kostenlose Nachlieferung.“ Oder anders formuliert: Buchungen werden bezüglich der Verträge automatisch und richtig verbucht.

Eigenentwicklungen im Standard

Selbst Hand anlegen mussten sie und ihre Kolleg:innen dennoch an der einen oder anderen Stelle, wie Tanja Lugert berichtet: „Wird ein Produkt geliefert, eines retourniert und eines erneut ausgeliefert, lassen sich nun die Menge und damit auch die Kosten zurückbuchen. Das war im Standard mit unserem SAP ERP 6.0 EHP nicht möglich, hier mussten wir die Buchung in Bezug auf den Vertrag erst im zweiten Schritt ‚richtig‘ machen.“

Daher ist der Wunsch der BPM-Managerin, spätestens in S/4HANA alle Funktionen im Standard vorliegen zu haben. Dazu zählt auch eine Contract-Execution in Kombination mit SAP ARM. „Die Set-Abwicklung und die Vertriebsstücklisten funktionieren schon, der Rest folgt sicher“, sagt Tanja Lugert. Schließlich sei nachvollziehbar, dass die großen neuen Entwicklungen nur auf dem neuen Release verfügbar seien, denn „an einem alten Auto lässt man ja auch keine große Delle mehr ausbessern.“ 

Bildnachweis: Shutterstock+Daniella Winkler, Roche

Mehr zu diesem Tag

Mehr in dieser Kategorie

Mehr von diesem Format