Jeden Stein umdrehen
Erfahrungen aus der S/4HANA-Konzeptionsphase
Zeit, Geduld und ein gutes Auge für Details – das sind aus Sicht von Kerstin Götz Grundvoraussetzungen für ein erfolgreiches S/4HANA-Finance-Vorprojekt. Die SAP-Projektmanagerin der Medien Union IT Management GmbH kümmert sich seit August 2021 darum, dass die Migration der Bereiche Financials und Controlling auf S/4HANA-Finance dank eines möglichst lückenlosen Konzepts so reibungslos wie möglich erfolgen kann. Keine leichte Aufgabe, denn allein im ersten Schritt sollen 80 Buchungskreise umgestellt werden – und langfristig sind es ganze 300.
„Wir nutzen ausschließlich das Modul SAP Finance and Controlling (SAP FI/CO), und es stand von Anfang an fest, dass wir die SAP-Buchungslogiken beibehalten wollen“, erläutert Kerstin Götz die Entscheidung für S/4HANA-Finance. Derzeit arbeiten die Gesellschaften auf SAP ECC 6.0 mit Enhancement Package 7, mit DATEV und mit diversen Non-SAP-Vertriebssystemen. Das soll sich jedoch bis 2025 ändern. „In diesem Jahr möchten wir S/4HANA-On-Premise einführen. Die Ziele, die wir mit unserem S/4HANA-Finance-Projekt verfolgen, sind schnell zusammengefasst: Es geht um Systemhomogenität, Prozessoptimierung und Einsparung von Personalressourcen“, so Kerstin Götz. Realisiert werden soll das Ganze im Greenfield-Ansatz.
Medien Union IT Management
Als Teil der Unternehmensgruppe Medien Union GmbH mit Sitz in der Metropolregion Rhein-Neckar kümmert sich die Medien Union IT Management GmbH um den operativen IT-Betrieb für einen großen Teil der Gesellschaften. Gleichzeitig berät das Unternehmen die Gesellschaften in strategischen IT-Themen, übernimmt teils den zentralen Einkauf von Hard- und Software sowie die Bewertung der IT-Investitionen und begleitet Projekte in den kaufmännischen Anwendungssystemen mit dem Schwerpunkt SAP.
Zurück zum Standard
Doch was so einfach klingt, ist komplex – insbesondere dann, wenn sechs SAP-Mandanten mit sechs Kontenplänen migriert werden sollen, die nur bedingt homogen sind. „Es gibt einen Konzernkontenplan, aber kein homogenes Kontierungshandbuch. Das Reporting beruht theoretisch auf dem Konzernkontenplan. Wir haben einiges an Non-SAP-Software im Einsatz. Kurzum: Wir haben es mit vielen verschiedenen Mandanten und unterschiedlichem Customizing zu tun, was wir ändern möchten, und wir möchten das Reporting vereinfachen“, fasst die Expertin zusammen. Gleichzeitig wird in der aktuellen Konzeptphase jeder Prozess in Frage gestellt, und es wird geprüft, ob sich Bestehendes in den SAP-Standard überführen lässt. Kein Stein bleibt auf dem anderen. Ziel des Vorprojekts: Es soll klären, welche Möglichkeiten existieren, wenn der SAP-Standard es nicht erlaubt, notwendige Vorgänge abzubilden und Kennzahlen zu ermitteln.
„In jedem Monatsabschluss und insbesondere zum Jahresabschluss sind sehr viele Personalressourcen gebunden, da es außerhalb des SAP-Systems noch viele manuell zu erledigende Aufgaben gibt. Hier erhoffen wir uns durch mehr Standardisierung deutliche Entlastung“, erläutert die SAP-Projektmanagerin. Aktuell setzt die Unternehmensgruppe auf verschiedene Dienstleister, welche die Buchhaltung für diverse Buchungskreise ausführen. Wenn Kolleginnen und Kollegen in einer Gesellschaft jedoch z. B. erkranken, könnte derzeit niemand von einer anderen Gesellschaft einfach aushelfen. Die Vorgänge und Kontenpläne sind zu unterschiedlich.
Greenfield statt Brownfield
Wenngleich die Medien Union IT Management Optimierungspotenziale für vorhandene Prozesse identifiziert hat, hat sie sich dennoch gegen einen Brownfield-Ansatz entschieden. „Die Kosten für eine Datenmigration wären exorbitant gewesen. Hinzu kam, dass allein das Thema Kontenpläne über die Systeme hinweg zu unterschiedlich ist, um es zu harmonisieren“, weiß die Expertin. Durch das fehlende Kontierungshandbuch werden unterschiedlichste Inhalte auf die jeweiligen Kontenbereiche eines Kontenplans gebucht. „Für einen Brownfield-Ansatz müssten wir in allen Systemen einen neuen Kontenplan einführen. Daher haben wir uns bewusst dazu entschieden, mit dem Greenfield-Ansatz alte Zöpfe abzuschneiden“, so Kerstin Götz.
Alte Zöpfe abschneiden
Darüber hinaus habe man sich über die Jahre hinweg vom SAP-Standard entfernt und nutzte viele individuell angepasste Prozesse. Ein Beispiel: Im Zahllauf gibt es immer die Belegart „ZP“. „Wenn ich maschinell meine Kreditorenposten reguliere, werden sie damit ausgeglichen. Hier gibt es in Abhängigkeit der Mandanten unterschiedliche Einstellungen. Das heißt, es ist nicht überall die gleiche Belegart. Und es werden Belegarten verwendet für Vorgänge, die so im SAP-Standard nicht vorgesehen sind“, erläutert Kerstin Götz. Durch die Rückbesinnung auf Standardvorgänge, -abläufe und -masken wollen die IT-Expert:innen der Medien Union IT Management also auch eine Arbeitserleichterung herbeiführen. Denn: Ein:e Mitarbeiter:in der Fachabteilung betreut in seiner Gesellschaft immer einen kompletten Buchungskreis – dazu gehören nicht nur die Debitoren-, Kreditoren- und Anlagenbuchhaltung, sondern alle anfallenden buchhalterischen Aufgaben. „Müssen diese Mitarbeitenden dann vertretungsweise einmal eine andere Gesellschaft betreuen, müssen sie genau wissen, wie dort gebucht wird“, fasst Kerstin Götz zusammen.
Zwar lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beantworten, ob die IT-Expert:innen die alten Zöpfe zu kurz schneiden wollen, doch bisher ist die Resonanz der Kolleginnen und Kollegen aus dem Fachbereich positiv. „Alle sind offen für die neue S/4HANA-Welt und für die neuen Funktionen. Wir erhoffen uns dadurch eine Erleichterung. Auch der Diskussionsbedarf, wenn an eingefahrenen Prozessen gerüttelt wird, hält sich in Grenzen“, so Kerstin Götz. Den Grund dafür sieht die SAP-Projektmanagerin vor allem darin, dass sie sehr eng mit den Betroffenen zusammenarbeitet. „Wenn ein Problem auftaucht, bedeutet das für mich, einen Workshop oder auch einen Einzeltermin mit den Mitarbeitenden aufzusetzen und herauszufinden, woran es noch hapert.“
Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Teilweise haben Mitarbeitende Probleme mit der S/4HANA-Maske. Andere empfinden die neuen Abläufe als kompliziert, weil sie schlichtweg den Kopf für das Neue noch nicht frei haben. „Dann überlege ich, wie ich den Kolleginnen und Kollegen z. B. einen Bericht zur Verfügung stellen kann, damit sie ihre Aufgaben im Tagesgeschäft effizient durchführen können“, erläutert Kerstin Götz und ergänzt: „Das kostet Zeit. Doch wenn ich sie nicht mitnehme, habe ich verloren.“
Essenziell sei es daher, dass die Kolleginnen und Kollegen das Konzept von Grund auf verstehen. Technisch auf S/4HANA-Finance umzustellen, genüge nicht. „Wird das Konzept nicht verstanden, kommt es zu Folgefehlern in der Erfassung. Dann stimmt der Belegfluss in die Module zur Auswertung nicht mehr und das Reporting wird fehlerhaft“, beschreibt die Projektmanagerin einen möglichen Fallstrick. Im S/4HANA-Projekt sind es insgesamt 25 Key-User:innen aus den Bereichen Finance und Controlling, welche die IT-Expertin mitnimmt.
Personalknappheit als Zeitfresser
Für die Konzeptionsphase war vorgesehen, dass die Key-User:innen zunächst einen festen Tag pro Woche reservieren und dies im weiteren Projektverlauf steigern, um die Vorgänge des Projekts abzuarbeiten. Wenn Fragen entstehen, sollten kurzfristig Meetings aufgesetzt werden. „Letztendlich geht es immer darum, die Prozesszusammenhänge zu erkennen. Welcher Schlüssel, welcher Parameter hat wo welche Auswirkungen im Folgeprozess?“ Doch das Arbeitspensum in den Abteilungen ließ diese Planung nicht zu. „Tatsächlich habe ich bei den Key-User:innen in der Finanzbuchhaltung eine Stunde pro Woche und im Controlling eine Stunde im Monat“, beschreibt Kerstin Götz den Ist-Zustand. Anders sei es schlichtweg nicht möglich, da die Mitarbeitenden bereits stark im Tagesgeschäft eingebunden seien. „Wir können die Personen einfach nicht zu 100 Prozent aus dem Tagesgeschäft herausnehmen. Die Personaldecke haben wir nicht“, so die Expertin.
Auf dieser Erkenntnis beruht auch eine der Empfehlungen, die Kerstin Götz anderen Unternehmen gibt, die ebenfalls eine ausgiebige Konzeptionsphase vor der Migration planen: „Bei der Definition der Mitglieder des Projekts sollte direkt dafür Sorge getragen werden, dass die entsprechenden Kapazitäten freigestellt sind. Es nützt nichts, die Entscheidung zu treffen, S/4HANA einführen zu wollen und ein Projekt-Team zu bilden, aber die Mitglieder können sich nicht in dem Maße der Aufgabe widmen, wie sie es möchten. Das führt zu Frustrationen.“ Im Fall des S/4HANA-Projektes waren die knappen Personalressourcen der Grund, dass der geplante Going-live um ein Jahr nach hinten geschoben wurde, um mehr Zeit für die Konzeption und das Vorprojekt inklusive Customizing und Stammdatenbereinigung zu haben – ebenfalls herausfordernde, zeitraubende Projektschritte.
Mitarbeitende ins Boot holen
Denn genau diese Konzeptphase ist es, die aus Sicht von Kerstin Götz besonders gründlich durchgeführt werden muss: „Wir sind im Medienbereich tätig und verkaufen Produkte bzw. Dienstleistungen im Abonnement. Das Gesetz schreibt vor, dass wir die Umsätze periodisieren müssen. Wenn wir einen Abo-Lauf zu Beginn des Jahres haben für Umsätze, die periodisch das ganze Jahr betreffen, ist das eine Herausforderung für die Buchhaltung. Sie muss diese Umsätze nämlich wieder auf die Monate aufschlüsseln. Dafür gibt es in SAP keine Standardfunktionalität. Wir müssen hier die vorhandene Funktionalität kundenspezifisch erweitern und zusätzliche Felder in einem Finanzbuchhaltungsbeleg aufnehmen. Für das S/4HANA-Finance-Konzept bedeutet so ein Fall zu schauen: Was brauchen wir heute für diese Aufgabe und was gehört in den Prozess, damit später eine Auswertung möglich ist?“ Buchungskreise in S/4HANA-Finance technisch zu migrieren sei nicht die große Herausforderung. Vielmehr läge diese darin, alle Abhängigkeiten innerhalb der Prozesse zu berücksichtigen. Daher empfiehlt die Expertin anderen Unternehmen, schon im Vorfeld allen klarzumachen: Der Wechsel auf S/4HANA ist ein Gemeinschaftsprojekt aus den Fachbereichen mit Unterstützung der IT.
Bildnachweis: Medien Union IT Management, Shutterstock + Daniella Winkler
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