Nachlese: Sapphire 2023
Vom 24. bis 25. Mai 2023 fand in Barcelona die europäische Ausgabe der SAP-Kundenkonferenz Sapphire statt.
Unter dem Motto „Future Proof“ stellte der Software-Hersteller die Aspekte Agilität, Nachhaltigkeit und Resilienz der Lieferkette in den Vordergrund. Welche Neuerungen es aus Barcelona zu berichten gibt, fasst die Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG) im Folgenden zusammen.
Künstliche Intelligenz
Das Thema Künstliche Intelligenz war im Rahmen der Sapphire stark vertreten. Einerseits dahingehend, dass SAP neue Business-KI-Funktionen ankündigte – von der intuitiveren Gestaltung von Beschaffungsprozessen bis hin zur Personalisierung der Kundenansprache. Andererseits durch die geplante generative KI-Partnerschaft mit Microsoft, um Kunden dabei zu unterstützen Mitarbeitende zu gewinnen, zu binden und zu entwickeln. Gleichzeitig versprach SAP mit KI z. B. Beschaffungsprozesse intuitiver und produktiver zu machen und in die Human-Experience-Management-Lösungen von SAP KI in die Geschäftsanwendungen zu integrieren. Das Ziel dabei soll es sein, den Teams zu helfen, das Personal-Management zu optimieren. Zudem soll den Mitarbeitenden auf ihrem Karriereweg ein Mehrwert geboten werden.
SAP bezüglich Partnerschaften im KI-Umfeld offen
Aus DSAG-Sicht gibt sich SAP bezüglich möglicher Partnerschaften im KI-Umfeld offen. Das ist positiv zu bewerten. Vereinzelte Use Cases wie z. B. das Erzeugen von Stellenanzeigen oder von Interview-Fragen für Vorstellungsgespräche oder zur Account-Professionalisierung scheinen hilfreich zu sein. Mit dem Themengebiet „Künstliche Intelligenz“ hat SAP allerdings keine neuen Inhalte präsentiert. Es wurde lediglich der aktuelle Hype – ausgelöst durch ChatGPT – bedient.
Die Auseinandersetzung mit den Aspekten der Künstlichen Intelligenz ist nicht neu. Die Veröffentlichungen rund um die Sapphire lassen das aber vermuten. Das zeigt auch ein Rückblick auf die Innovationsplattform SAP Leonardo. Diese wurde ähnlich öffentlichkeitswirksam eingeführt. Sie sollte neben Machine-Learning auch Internet-of-Things und Blockchain als innovative Technologien für SAP nutzbar machen. Viele der technischen und funktionellen Services von Leonardo gehen nun jedoch im Produktportfolio auf. Sie werden nicht mehr als eigene Technologieplattform angeboten.
Seitdem integriert SAP einzelne Lösungen in die jeweiligen Geschäftsprozesse. SAP hat insbesondere in S/4HANA einige Funktionalitäten eingebettet, um die Automatisierung von Routineaufgaben zu unterstützen. Das erfolgt unter anderem mit der Auslieferung vordefinierter Szenarien, die anhand historischer Daten des Anwendungsunternehmens trainiert werden müssen. Prominente Beispiele sind hier Genehmigungs-Workflows im Einkauf, das Anlegen von Bestellung oder das Ausziffern von Forderungen sowie die Zuordnung von Zahlungseingängen zu offenen Rechnungen.
SAP zieht sich auf Rolle als Lieferant von Business-Daten zurück
Bemerkenswert für die Anwenderunternehmen ist, dass sich SAP künftig aus der aktiven Bereitstellung einer KI-Plattform zurückzieht. SAP will in erster Linie auf KI-Tools und -Modelle von Partnern setzen. Zu denen zählen neben Microsoft und OpenAI (ChatGPT) auch das deutsche Start-up Aleph Alpha sowie IBM. Entsprechend kommen die Algorithmen und KI-Modelle künftig von den Partnern. SAP zieht sich auf die Rolle des Lieferanten der Business-Daten zurück. Es bleibt leider offen, inwieweit das zur SAP-Strategie passt, sich aus Produktbereichen bzw. ganzen Industrien zurückzuziehen (vgl. Gesundheitswesen).
Zudem wird es für die Unternehmen komplexer, entsprechende KI-Services zu nutzen, wenn dafür abermals hybride Integrations- und Architekturszenarien erforderlich werden, um diese Szenarien abzubilden. Denn die Beantwortung rechtlicher und regulatorischer Fragen für komplette Prozessketten verbleibt bei den Anwenderunternehmen. Sie können nicht als kompletter Business-Service von SAP bezogen werden. Auch die kommerziellen Rahmenbedingungen mit den einzelnen beteiligten Software-Partnern sind separat zu vereinbaren.
Technische und kommerzielle Ausgestaltung von KI-Services offen
Ebenso noch nicht hinreichend präzisiert ist die Ankündigung von SAP, in Zukunft auch eigene Foundation-Modelle zu entwickeln, die nativ in die SAP-Applikationen eingebaut und nicht als separate Tools angeboten werden sollen. Hier wird zwar schon darüber nachgedacht, dass je nach Reifegrad und Umfang der KI-Funktionen verschiedene Vermarktungsmodelle mit unterschiedlichen Preismodellen angeboten werden können. Für die Anwenderunternehmen steht die konkrete technische und kommerzielle Ausgestaltung der KI-Services jedoch klar im Vordergrund. Andernfalls eröffnen diese Szenarien eher dem SAP-Vertrieb neue Chancen, mittels KI die Kunden dazu zu bringen, mehr SAP-Dienste zu buchen.
Auch bezogen auf die von SAP gewählte Rolle als Lieferant der Business-Daten sind wesentliche Fragen zu klären. Schon eine recht simple Anwendung von Text-KI in SAP-Systemen, dass Nutzer:innen in ihrem SAP-System frei formulierte Fragen stellen könnten, wird aus technischer und aus kommerzieller Sicht komplex. Zumindest dann, wenn die Antworten nicht nur auf Daten aus SAP-System beruhen. Von der indirekten Nutzung ganz zu schweigen, sollten die Plattformen der KI-Anbieter mittels SAP-Schnittstelle Verarbeitungsaktivitäten in der SAP-Software aktivieren.
Weiteren Sapphire-Ankündigungen zum Thema KI
Nachhaltigkeit
SAP kündigte Lösungen an, um die CO2-Bilanzierung neu zu erfinden und Unternehmen zu einem „Green Ledger“ zu führen. Unter Green Ledger ist eine buchhalterische Bilanzierung von Kohlenstoff zu verstehen. Mit ihr sollen Unternehmen den Kohlenstoff verwalten können, der in ihre Systeme ein- und ausgeht. Zudem sollen sie ihre „Kohlenstoffbücher“ auf die gleiche Weise ausgleichen können wie ihre Finanzbücher.
Green Ledger soll tiefe Einblicke bieten, da es in RISE with SAP, S/4HANA Cloud und die GROW-with-SAP-Initiative eingebettet ist und mit jedem Release um zusätzliche Funktionen erweitert wird. Im Rahmen ihrer Initiative, Kunden auf dem Weg zu einem Green Ledger zu unterstützen, kündigte SAP ein Update von SAP Sustainability Footprint Management an. Das ist eie Lösung zur Berechnung und Verwaltung aller Treibhausgasemissionen auf Unternehmens-, Wertschöpfungsketten- und Produktebene. Beim Weltwirtschaftsforum vor einigen Jahren wurde das Ganze von SAP bereits thematisiert. Nun gibt es Umsetzungen. Das ist aus DSAG-Sicht positiv.
SAP Sustainability Footprint Management ist der neue Name für die bisher als SAP Product Footprint Management bekannte Lösung. Mit SAP Sustainability Footprint Management lassen sich die unternehmensweite CO2-Bilanz anzeigen und die Produkt-Fußabdrücke für Cradle-to-Gate-Szenarien berechnen, einschließlich der Produkterwerbs-, Produktions- und Transportstufen der Wertschöpfungskette. Bei Cradle-to-Gate wird ein Produkt nur so lange bewertet, bis es die Werkstore verlässt, bevor es zu den Verbraucher:innen transportiert wird. Das bedeutet, dass die Nutzungs- und Entsorgungsphase weggelassen wird. Ziel ist es nicht mehr nur zu berichten, sondern auch nach vorn gerichtet alle Prozesse messbar, transparent und sichtbar zu machen.
Green Ledger sollte für alle Kunden uneingeschränkt verfügbar sein
SAP hat angekündigt, dass Green Ledger ausschließlich in der Private Cloud und der Public Cloud und nicht On-Premise zur Verfügung gestellt wird. Die DSAG wird hierzu das Gespräch mit SAP suchen.
Nachholbedarf bei SAP bezogen auf Cloud-Lösungen
Bezogen auf den Aufbau der SAP-Cloud-Lösungen hat SAP selbst noch Nachholbedarf. So wird der Wechsel auf Cloud-Lösungen den Anwenderunternehmen als Teil einer Green-IT-Strategie und der damit einhergehenden Senkung des eigenen Ressourcen-Verbrauchs vermittelt. Doch auch hier liegen „Können” und „Sein” noch weit auseinander. Noch immer wird bei der Bereitstellung der Cloud-Services monolithisch und zentralistisch gedacht. Weder beim Betrieb der Rechenzentren noch in Bezug auf den Einsatz der Services in den Anwenderunternehmen wird grün gedacht. Auch wird der hohe Energiebedarf, der bei Verbindungen zur Cloud und beim Cloud-Dienstleister selbst anfällt, nur unvollständig erhoben und transparent gemacht.
Um tatsächlich eine energieeffiziente Infrastruktur und Services für Anwenderunternehmen bereitzustellen, fehlt es hierzu unverändert an systematischen Lösungskonzepten. Das reicht von Standortüberlegungen über die Auswahl eines Kühlsystems bis zur Auslastungsoptimierung. Skalierbare Plattformen und flexible Anpassungen sind notwendig, um den Betrieb von Cloud-Lösungen ökologisch nachhaltiger als herkömmliche Rechenzentren zu gestalten. SAP muss die Anwenderunternehmen in die Lage versetzen, die eingesetzten Cloud-Services und -Plattformen aktiv steuern und betreiben zu können – anstelle des „always on“-Prinzips der heutigen Lösungen und Rechenzentrumsmodelle der großen Cloud-Provider. Aus DSAG-Sicht ist dahin jedoch noch ein weiter Weg.
Weitere Sapphire-Ankündigungen zum Thema Green Ledger
Industry Platforms
SAP kündigte SAP Business Network for Industry an. Dieses soll es Kunden in bestimmten Branchen ermöglichen, wichtige Geschäftsprozesse mit ihren Handelspartnern zu verbessern und zu erweitern und so die Wertschöpfungszeit für beide Seiten zu verkürzen. Die ersten vier Branchennetzwerke, auf die sich SAP konzentrieren will, sind in den Bereichen Konsumgüter, Hightech, industrielle Fertigung und Biowissenschaften, weitere sollen folgen.
Darüber hinaus wurden für den Bereich Customer-Experience (CX) branchenspezifische Accelerators angekündigt, die Backend-Geschäftsprozesse mit Kundenkontaktpunkten verbinden sollen. Die Beschleuniger laufen auf der SAP Customer Data Cloud und sollen leistungsstarke Analysen und Informationen liefern. Sie sollen Unternehmen dabei helfen, konsistente und aussagekräftige Kundenerlebnisse zu schaffen.
DSAG prüft Angebot zu Business Network for Industry
Bezogen auf Business Network for Industry wird die DSAG in den kommenden Wochen das aktuell verfügbare Angebot gemeinsam mit ihren Mitgliedsunternehmen auf den Prüfstand stellen. SAP Business Network ist ein gehosteter Service, der Einkaufsorganisationen und Lieferanten die Aufnahme von Geschäftsbeziehungen und die Ausführung von Transaktionen über das Internet ermöglichen soll. Neben dieser elektronischen Verarbeitung von Bestellungen und Rechnungen steht insbesondere der Austausch von Unternehmensdaten im Vordergrund.
Damit dieser Service schnell akzeptiert wird, ist eine hohe Verbindlichkeit und vollständige Belastbarkeit der Lieferanten- und Kundenstammdaten erforderlich. Nicht nur regulierte Industrien, sondern nahezu alle Industrien nutzen heute externe Know-Your-Customer (KYC)-Anbieter für die Due Diligence und präzise Identifikation von Kunden. Dazu zählt die Prüfung der Geschäftspartnerdaten ebenso wie der automatische Abgleich mit Sanktions-, Watch- oder PEP-Listen sowie gegebenenfalls einer Verweigerung der Geschäftsbeziehung.
Die reine Bereitstellung von Daten über das Business-Network stellt also nur einen bedingten Mehrwert dar. Erst wenn Know-Your-Customer-Prüfungen (KYC) beziehungsweise Know-Your-Supplier-Analysen (KYS) fester Bestandteil des Netzwerks zur Unterstützung der Compliance-Management-Systeme der Anwenderunternehmen sind, wird das Angebot auf breite Akzeptanz stoßen. Auch würde ein kommerzielles Angebot von SAP, das für die Nutzung des Business-Netzwerks alle benötigten Komponenten beinhaltet – wie bspw. die Kosten für die Integration mit dem ERP-System über die BTP Integration Suite – weiteren Vortrieb leisten.
Weitere Sapphire-Ankündigungen zum Thema Industry Platforms
SAP Business Technology Platform (BTP)
SAP kündigte an, die Partnerschaft mit Google Cloud zu erweitern, um die Zukunft von offenen Daten und KI für Unternehmen zu gestalten. Kunden sollen dabei unterstützt werden, Datenlandschaften zu vereinfachen und ihre Geschäftsdaten maximal zu nutzen. Sie sollen eine durchgängige Daten-Cloud aufbauen können, die Daten aus der kompletten Systemlandschaft mittels SAP Datasphere und der Daten-Cloud von Google zusammenführt.
Aus DSAG-Sicht kann die Partnerschaft ein weiteres Szenario für den zukünftigen Einsatz von KI in den Unternehmen darstellen. Daten sind die Grundlage, damit darauf aufsetzend Künstliche Intelligenz oder Machine-Learning zum Zuge kommen können. Insofern bietet eine erweiterte Datengrundlage eine verbesserte Ausgangssituation. Die reine Menge an Daten – insbesondere qualitativ wertigen Daten –, prozessual durch KI aufbereitet, verbessert Entscheidungsprozesse in den Unternehmen und optimiert den Workflow.
Durch eine tiefere Integration von SAP-Daten und -Systemen mit der Google Cloud wäre es möglich, fortschrittliche KI-Tools zu nutzen, um die Daten zum Erkenntnisgewinn einzusetzen. Zudem wäre der Überblick in Echtzeit über die Datenlandschaften der Unternehmen ein großer Gewinn. Nun muss sich in der Praxis zeigen, ob die Partnerschaft wirklich dazu geeignet ist, den Daten-Layer zu stärken. Denn insbesondere, wenn SAP-Daten in Google-Anwendungen genutzt werden, sind den Anwenderunternehmen attraktive kommerzielle Angebote (indirekte Nutzung) bereitzustellen. Gleichermaßen sollte auch die Frage nach der langfristigen Strategie des SAP-Analytics-Portfolios erörtert werden, falls nunmehr Plattformen weiterer Hyperscaler im Rahmen von Partnerschaften unterstützt werden. Die DSAG wird die Entwicklungen beobachten.
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