Trampolin für die Digitalisierung
O2 Telefónica setzt auf die S/4HANA Cloud Edition
Das Telekommunikationsunternehmen O2 Telefónica bezeichnet sich mit seinen Vernetzungslösungen selbst als „trampolín“ (Spanisch für „Sprungbrett“) für die Digitalisierung. Damit vor allem die Logistik im Sinne der Kund:innen große Sprünge machen kann, wurde der Bereich im Rahmen des Großprojekts Future-ERP-Logistic (FUEL) als erster auf Basis der S/4HANA Cloud Edition neu ausgerichtet.
Die Erwartungen an Transparenz, Geschwindigkeit, Informationsfülle und Auslieferoptionen wachsen bei der O2 Telefónica vor allem im Business-to-Consumer (B2C)-Bereich in den letzten Jahren stetig. Zudem pflegt das Telekommunikationsunternehmen ein deutlich erweitertes Portfolio – von der Playstation bis zum TV mit neuen Seriennummern, Produktgrößen, Versandarten und jährlich zunehmenden Liefermengen. Um den damit verbundenen Erwartungen gerecht zu werden, wurde der Wechsel auf ein aktuelles, Realtime-fähiges ERP-System unumgänglich.
Die bisherigen Logistik-Altsysteme verschiedener Hersteller waren in die Jahre gekommen und hatten meist auslaufende Wartungs- und Service-Verträge. Zudem wurde jede Weiterentwicklung aufgrund des notwendigen Know-hows und der teilweise stark individualisierten Systeme langsam und kostenintensiv. So ließ sich die Logistik z. B. nicht mehr vollständig über ein Update der Bestandssysteme modernisieren und auf ein einheitliches System transformieren.
Telefónica Germany GmbH & Co. OHG
O2 Telefónica ist ein führender Komplettanbieter für Telekommunikationsdienste für Privat- und Geschäftskund:innen. Das Portfolio der Kernmarke O2 sowie diverser Zweit- und Partnermarken umfasst neben klassischen Telefonie- und Internet-Anschlüssen auch innovative digitale Services im Bereich Internet der Dinge und Datenanalyse. Im Geschäftsjahr 2022 erwirtschaftete das Unternehmen mit rund 7.500 Mitarbeitenden einen Umsatz von 8,2 Milliarden Euro.
Es hatte sich eine komplexe Architektur entwickelt. „Über die Jahre sind immer wieder zusätzliche Business-Anforderungen dazugekommen, die neue Prozesse erforderten und die es im vorhandenen System abzubilden galt. Stellt man diese Punkt-zu-Punkt-Integration grafisch dar, ergibt sich über die verschiedenen Systeme hinweg ein sehr komplexes Bild“, beschreibt Florian Jettmar, Head of Finance & Logistic Solutions bei O2 Telefónica, die Lage. Diese verschlungenen Verbindungen wurden bis dato nie grundlegend geordnet, wodurch jede Akquisition und jede operative Einheit schwieriger, teurer und langwieriger zu integrieren war.
Von der Echtzeit-ERP-Suite profitieren
Daraus resultierte der Entschluss, zunächst eine lokale SAP-Plattform auf Basis der S/4HANA Cloud Edition für die Logistik einzuführen, und nicht auf das globale Template in Gestalt des SAP-R3-Systems des O2 Mutterkonzerns aufzusetzen. Die Entscheidung für die Cloud erfolgte aufgrund der Ausrichtung von O2 Telefónica auf Cloud-Software im Allgemeinen und mit Blick auf SAP im Besonderen, um von den umfassenden Standardfunktionen der Echtzeit-ERP-Suite zu profitieren, ohne sich um Hardware, Wartung und Betrieb kümmern zu müssen.
Mit dieser Aufgabe wurde Microsoft als Hyperscaler betraut. „Zum einen ermöglicht uns der Ansatz mit Microsoft Azure eine Hoheit über die in Deutschland generierten und verarbeiteten Daten. Zum anderen sind wir beweglicher, um zum Beispiel lokale Prozesse zu entwickeln und zu nutzen oder Module abzubilden, mit denen sich lokale Markttrends schnell aufgreifen und umsetzen lassen“, erläutert Stefan Zorn, Head of Supply Chain Management bei O2 Telefónica.
Mit dem R/3-System des Mutterkonzerns wird vor allem im Rahmen der Buchhaltung im Hauptbuchkonto (General Ledger) sowie rund um Controlling, Real Estate und Procurement kommuniziert. Dabei werden zum Beispiel die Daten aus den lokalen Quellsystemen – etwa der Provisionen oder der Abrechnung, die in Deutschland eingesammelt werden – an die Business-Intelligence (BI)-Schnittstelle überspielt und ins globale SAP-System übertragen. Für diesen Vorgang wird das SAP Business Rule Framework Plus (BRF+) als Schnittstelle eingesetzt. „Wir sind so flexibler in der Entwicklung und Weiterentwicklung von System und Prozessen. Des Weiteren wollen wir die Lücke vom alten zum neuen System für die Legacy-IT schließen, bevor wir aufgrund auslaufender Wartungs- und Service-Verträge aus dem Support fallen beziehungsweise kein Upgrade mehr möglich ist und damit die Kernprozesse gefährdet werden“, so Florian Jettmar.
Prozesse neu gedacht
Der Greenfield-Ansatz für das S/4HANA-Cloud-Projekt lag darin begründet, dass die bisherigen Prozesse das Ergebnis vieler Teilschritte über mehrere Jahre hinweg waren. „Wir mussten neben dem prozessualen Ziel mitberücksichtigen, dass alles auf den bestehenden Systemen umsetzbar war. „Daraus entstanden Prozesse, die nicht immer simpel und geraderaus sind“, erläutert Stefan Zorn. Mitarbeitende des Unternehmens wurden mit einem einfachen Gedanken vom Sinn der Transformation überzeugt: Wenn du diesen Prozess mit der heutigen IT neu aufsetzen müsstest, würde er wie der alte aussehen? Darauf war die Antwort überwiegend: Auf gar keinen Fall, das würde ich heute so und so machen. „Aus diesem Grund haben wir uns für den Greenfield-Ansatz entschieden und hatten die Mitarbeitenden auf unserer Seite“, erläutert Florian Jettmar. Darum wurden die Prozesse auf Basis von Input und Output neu gedacht, entschlackt und vereinfacht, sodass sie in einem einzigen System neu aufgesetzt werden konnten.
Es gibt geradlinige und fixe Prozesse, etwa im Einkauf. Der ist über viele Länder einfach zu konsolidieren und durch die Mengen der Komponenten, die übergreifend abgenommen werden, lassen sich dann entsprechende Preise erzielen. Daher ergibt es Sinn, derartige Prozesse in einem globalen System abzubilden, um Synergien zu heben.
Zudem war die Supply-Chain einer der ersten Treiber für das lokale S/4HANA-Cloud-System. „In dem Bereich muss sehr viel auf die Landesprozesse abgestimmt werden. Da ist lokale Flexibilität wichtig, um über Änderungen aufgrund aktueller Markttrends sehr viel schneller zu entscheiden und diese umzusetzen“, so Stefan Zorn.
C-Level-Support ist wichtig
Als Erfolgsfaktor für das FUEL-Projekt gilt u. a., dass man sich damit schon im Vorfeld länger beschäftigt hatte. Wichtig war, ein gutes Verständnis und damit einen guten Support bis hin zum CxO-Level zu erreichen. Ebenso das richtige Timing im Zusammenspiel mit der restlichen IT-Infrastruktur. „Der C-Level-Support ist wichtig für so ein Projekt. Auf einer mittleren Ebene wird eine derartige Aufgabe niemals erfolgreich umsetzbar sein“, ist Florian Jettmar überzeugt.
Die detaillierte Analyse und Dokumentation der Prozesse sowie die Business-User-Stories inklusive der Abnahmekriterien wurden von der eigenen Mannschaft erstellt. Die Business-User-Stories stellten für viele eine neue Aufgabe dar. Sie mussten den Prozess anhand ihrer Antworten auf die Fragen beschreiben: Was muss ich machen und was muss ich dafür im System sehen? Was benötige ich, um welche Aufgaben erledigen zu können? Wie muss der Prozess dafür gestaltet sein? „Logistikmanager z. B. müssen sehen, welche Bestellungen reingekommen sind, den Status eines Auftrags abfragen können, wissen, ob die Kreditprüfung gelaufen ist, und wann das Paket verschickt wurde“, erläutert Stefan Zorn. All die gesammelten Anforderungen wurden dann übereinandergelegt und ermittelt, wie die Prozesse aussehen müssen, damit sie akzeptiert und mit ihnen gearbeitet werden kann. Anhand der Business-User-Stories baute ein externer internationaler System-Integrator die entsprechenden Prozesse. Auf dieser Basis und Vorarbeit wurden dann 2021 die Cloud-Infrastruktur aufgesetzt und die ersten Entwicklungen angestoßen. Der erste Teilbereich konnte im Mai 2023 mit der „Internet & Home“-Produktfamilie in Betrieb genommen werden.
Komplexität und Abhängigkeiten bewältigen
Als zu meisternde Herausforderungen erwiesen sich die Schnittstellen zum globalen Warehouse unter der Hoheit der spanischen Muttergesellschaft Telefónica, zum Produktkatalog und zu den Rechnungs- und Buchhaltungsprozessen sowie die Migration der Bestandsdaten aus den abgelösten Altsystemen. In all den Fällen mussten viel Komplexität und Abhängigkeiten bewältigt werden.
Doch bereits jetzt lässt sich Nutzen aus dem Betrieb der S/4HANA Cloud Edition ziehen. Es beginnt mit deutlich übersichtlicheren Versand- und Retourenprozessen, geht über schnellere und einfachere Prozesse generell bis hin zu einem besseren Erlebnis für Kund:innen. So sollen u. a. auch Premium-Delivery-Optionen realisiert und die Bestell- und Lieferoptionen auf die Omnichannel-Variante erweitert werden. Damit lässt sich ein Handy-Kauf von der ersten Information bis zur Bestellung online abwickeln. Ebenso können sich die Kund:innen online informieren und den Kauf dann in einer stationären Filiale tätigen. „So verweben wir die Online- mit der Offline-Welt“, fasst Stefan Zorn zusammen. Mit dem Schritt von den bisherigen Logistiksystemen auf eine S/4HANA-Cloud-Umgebung wird zudem die Integration eines neuen Produkts um den Faktor vier beschleunigt, fällt doch z. B. der Koordinationsaufwand zwischen einzelnen Systemen weg. Und Systemintegratoren braucht es anschließend auch nur noch einen.
Prozesse detailliert analysieren
Nachdem die Festnetz-Logistik mit dem Ansatz erfolgreich auf die SAP-Plattform gehoben wurde, sollen Mitte 2024 die SIM-Karten- und Mobilfunkendgeräte-Logistik das FUEL-Projekt komplettieren. Damit wäre zunächst die S/4HANA-Cloud-Transformation abgeschlossen – doch das Trampolin halten die IT-Expert:innen von O2 Telefónica sicher auch darüber hinaus erfolgreich am Federn.
Unternehmen, die ein ähnliches Projekt planen, gibt Stefan Zorn ein paar konkrete Tipps mit auf den Weg: „Die bisherigen Prozesse detailliert zu analysieren, ist eine der Kernaufgaben, und das Wissen über den Input und Output über die gesamte Prozesskette einer der Schlüssel für eine erfolgreiche Migration.“ Zudem laufen bei O2 Telefónica mehr als 95 Prozent der Prozesse im SAP-Standard, hat sich doch gezeigt, dass Eigenentwicklungen zu teuer in der Umsetzung und meist komplexer und fehleranfälliger im Betrieb sind. „Planen Sie genug Zeit und Mitarbeitende für die Tests ein, und testen Sie kontinuierlich und automatisiert die Schnittstellen“, ergänzt Florian Jettmar. Da die meisten Integratoren ihre Kernkompetenz in der Implementierung und dem neuen System haben, nicht aber im Business, kann die Faustformel sinnvoll sein: Das Business sagt „was“, und der Integrator sagt „wie“.
Bildnachweis: Shutterstock + Daniella Winkler, Shutterstock + freepik + Daniella Winkler, Telefónica
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