Die Rechts- und Links-Guckerin
Unerschütterlich motiviert
Die Geschichte der fehlenden Frauen in IT- und Technologieberufen ist keine neue. Trotz vieler guter Ideen und Maßnahmen gibt es im Verhältnis immer noch zu wenige Expertinnen, nicht nur in Führungspositionen. Zufall? Wohl kaum. Das sagt auch Christine Regitz, die seit fast 30 Jahren bei SAP in verschiedenen Positionen tätig ist, dort das erste Frauennetzwerk mitgegründet hat, heute die Initiative „SAP Women in Tech“ leitet und im SAP-Aufsichtsrat sitzt.
Sprechen wir über die Schulzeit. An was haben Sie gute Erinnerungen?
Christine Regitz: Mathematik, Physik und Chemie waren Fächer, die mir schon immer sehr leichtfielen. Hat man einmal die Zusammenhänge und die Logik verstanden, ist es relativ einfach, darin gut zu sein. Für mich persönlich ist Mathe schon immer etwas für Faule gewesen, und ich bezeichne mich auch als faul: Daher waren und sind Naturwissenschaften mein perfektes Match.
War es klar, dass Sie studieren werden?
Ich war noch nie jemand, die genau wusste, was sie werden will. Ganz im Gegenteil, ich konnte mir schon immer unfassbar viele verschiedene Dinge vorstellen. Daher fand ich es mit knapp 20 Jahren unfair, mich festlegen zu müssen, denn dieses Gefühl hatte ich damals. Heute ist klar, dass man nicht sein Leben lang das arbeiten muss, was man gelernt oder studiert hat. In meiner Familie bin ich die Erste mit Studium, und meine Eltern sagten damals: „Mach etwas, das dir wirklich Spaß macht und mit dem du dein eigenes Geld verdienen kannst, wir halten dir den Rücken frei“ – und mit genau diesem Gedanken im Kopf bin ich zur Studienberatung.
Rückblickend: War der Termin sinnvoll oder Zeitverschwendung?
Auf meinen Wunsch hin, Mathematik zu studieren, erhielt ich zwei Optionen: Entweder eine akademische Laufbahn einzuschlagen oder z. B. zu einer Versicherung zu gehen, denn die bräuchten mathematisch begabte Menschen, um Sterbezahlen und Unfallwahrscheinlichkeiten auszurechnen. Da ist bei mir erst einmal der Rollladen runtergegangen! Ich habe dann selbst überlegt und mich für Wirtschaftswissenschaften entschieden. Eine logische Wahl, denn da ist viel Mathematik dabei. Das Fach ist für alle Branchen relevant und Job-Optionen sind somit breit gestreut. Zu meinem großen Glück hat Professor Dr. Scheer an der Universität in Saarbrücken Wirtschaftsinformatik gelehrt, das war mein erster Berührungspunkt mit IT und Technologie.
Wie sah Ihr Schritt in die Praxis aus?
Erst einmal habe ich viele Bewerbungen geschrieben. Der Arbeitsmarkt damals war eng für Bewerber:innen, ganz anders als heute. Letztlich entschied ich mich für IDS Scheer, damals ein sehr junges Unternehmen, quasi ein Start-up, wo ich Geschäftsprozessberatung mit Schwerpunkt auf Energieversorger gemacht habe. Beratung war aber nicht mein Herzensjob, und mein erster Arbeitstag beim nächsten Arbeitgeber hat mich dann direkt nach Walldorf gebracht. SAP hatte das Unternehmen just in diesem Moment aufgekauft.
Was zeichnet SAP als Arbeitgeber aus?
Ich war 25 Jahre in der Entwicklung beschäftigt, und bis auf Hardcore-Programmierung habe ich wirklich alles gemacht. Das Fantastische ist: Ich konnte immer das machen, was mir liegt, und habe so im Endeffekt alle drei bis fünf Jahre etwas Neues gemacht. SAP ist hier sehr durchlässig. Es haben sich immer neue Möglichkeiten ergeben, und das ist auch eine wichtige Botschaft an junge Menschen: Niemand muss jahre- oder jahrzehntelang in einem Unternehmen bleiben und denselben Job machen. Natürlich muss man sich auch anstrengen, interessante Jobs sind keine Selbstläufer. Aber Unternehmen wie SAP leben ja auch davon und fördern diese Veränderungsbereitschaft der Mitarbeitenden, z. B. durch Fellowships, wo man einfach so mal sechs Monate in eine andere Abteilung reinschnuppern kann.
Das erste Frauennetzwerk der SAP gibt es bereits seit 2007. Sie waren Gründungsmitglied. Wie kam es dazu?
Uns war damals schon klar, dass Frauen bei SAP viel zu wenig sichtbar sind, wir keine wirklichen Role-Models haben und die Kompetenzen und das Know-how unserer Mitarbeiterinnen nicht so nutzen wie das der männlichen Kollegen. Zum Start des Netzwerks waren drei Kriterien für uns entscheidend: Professionalität, Business-Relevanz und eine Roadmap. Und ganz wichtig: Wir brauchten ein herausforderndes Ziel, das wir aufschreiben, laut aussprechen und kommunizieren, denn dann kann man nicht mehr zurückrudern.
Und welches war das?
Eine Frau im SAP-Vorstand bis 2010. Das war nicht nur „Think big“, sondern „Think very big“, da weder strukturell einfach umsetzbar noch auf der politischen Agenda. Aber: Wir haben unser Ziel fristgerecht erreicht!
Was oder wer war aus Ihrer Sicht für diesen schnellen Erfolg essenziell?
Wir fragten uns, wer ist der wichtigste Mensch bei SAP, wem hören alle zu? Eindeutig Hasso Plattner. Auf den Termin mit ihm mussten wir zwar etwas warten, aber wir bekamen ihn. Und noch nie in meinem Leben zuvor war ich so gut vorbereitet! Es war eine tolle Diskussion auf Augenhöhe. Er war sehr offen und hat sich damals z. B. auch mehr Studentinnen am Hasso-Plattner-Institut gewünscht.
Welche konkreten Maßnahmen folgten?
Wir haben Kennzahlen zu unseren Beschäftigten erstellt, um herauszufinden, wie das Verhältnis zwischen Männern und Frauen bei SAP überhaupt aussieht. Außerdem haben wir deren Karrierepfade verglichen.
Wie haben Sie alle an Bord bekommen?
Unsere Betriebsärztin Natalie Lotzmann war zu diesem Zeitpunkt auch für das Thema Diversität zuständig. Sie hat im ersten Schritt die ranghöchsten Managerinnen für einen zweitägigen Workshop zusammengetrommelt, um über Verhaltensweisen, Zahlen, Daten und Fakten bei SAP zu reden. Und natürlich, um zum Nachdenken und Reflektieren anzuregen und um den Business-Case aufzumachen, den wir so dringend benötigt haben. Parallel hat sie dasselbe mit den Managern gemacht. Die Teilnehmenden aus den ersten Workshops konnten dann die nächsten vorschlagen und so hat sich das Ganze wie ein „Trainings-Schneeballsystem“ entwickelt. Das war superwichtig, denn es hat das Bewusstsein für beide Seiten geschärft, etwa in puncto üblicher Verhaltensmuster, wie z. B. dass Frauen sich nur bewerben, wenn sie zu 100 Prozent auf die Stelle passen und bei Männern reichen ihrer Selbsteinschätzung nach schon meist 50 Prozent Übereinstimmung.
Gab es kritische Stimmen?
Die gab und gibt es immer, wenn auch keine lauten. Wir hörten z. B., dass wir Männer ausschließen würden. Stimmte aber nicht. Alle Männer waren jederzeit willkommen. Denn das Ziel war und ist nach wie vor: Wir wollen etwas für SAP tun. Außerdem ist SAP schon immer eine Netzwerk-Company, von daher gibt es seit 2007 nun einfach nicht nur Treffen von Fotograf:innen, Schachspieler:innen und vielen anderen, sondern eben auch das der Frauen.
SAP Women in Tech wurde dann 2019 gegründet: Warum?
Als Team von SAP Women in Tech fokussieren wir uns sehr stark darauf, unsere Frauen mit ihrer Expertise auf die Bühnen der Welt zu bringen, wobei wir „Bühnen“ sehr weit fassen. Warum das dringend nötig war, haben wir beim Developer-Kick-off-Meeting 2017 festgestellt: Da stand nicht eine einzige Frau mit auf der Bühne! Der Shitstorm folgte auf dem Fuß. Unserem damaligen Entwicklungsvorstand quoll die Inbox über. Zwar wurde erfolgreich gegengesteuert, aber eben nur als ein Projekt von vielen, nebenbei von einer Kollegin. Als sie die Firma verließ, war das unsere Chance: Unser CEO Christian Klein war gerade an Bord gekommen und hatte das Thema Frauen proaktiv auf dem Schirm. Wir alle sind dann schnell übereingekommen, dass dies kein entwicklerspezifisches, sondern ein SAP-Thema ist. Nicht nur auf den Entwicklerkonferenzen hatten wir zu wenige Frauen auf den Bühnen, sondern überall. Das war die Gründungsstunde unserer Initiative, die heute im Vorstandsbereich von Christian Klein angesiedelt ist.
Was ist das nächste große „Think big“?
Wir fokussieren eine starke Präsenz von SAP-Frauen auf den großen Kundenmessen. Und zwar als Teil des Programms. Das ist gut für SAP, wird aber auch unseren Kundenunternehmen helfen: Dabei, ihre Expertinnen besser zu verstehen, sie zu zeigen und wertzuschätzen. Denn auch wenn es niemand mehr hören mag, wir haben Fachkräftemangel.
Inwiefern kann HR hier unterstützen?
Das Gute ist, viele Frauen wollen einen interessanten und gut bezahlten Job, der natürlich auch Spaß machen soll. Hier können Personalabteilungen noch viel lernen bzw. den Blick in eine andere Richtung lenken: auf die intrinsische Motivation, die manchmal sehr viel mehr Wert hat als alle Karriereschritte, Bezahlung und sonstigen Leadership-Modelle zusammen. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir unglaublich viele tolle Frauen haben, die sich total unter Wert verkaufen oder einfach nicht sichtbar sind.
Damit es erst gar nicht so weit kommt: Wie gelingt es besser, junge Mädchen für MINT-Fächer und -Berufe zu interessieren?
Wir müssen nicht in den Schulen, wir müssen schon in den Kindergärten anfangen! Es bringt auch nichts, das Thema nur schwarzweiß zu betrachten, wie etwa beim Digitalpakt: Da werden Schulen mit Hardware überschüttet, die niemand wirklich warten kann, denn der Informatikunterricht wird üblicherweise von den Physik- oder auch Mathematiklehrer:innen nebenbei erledigt. Was auch nicht weiter wundert angesichts etwa nur 100 bis 200 neuer Informatiklehrer:innen jährlich. Informatik ist aber nur ein Teil des Ganzen, es geht grundsätzlich um eine informatische Bildung.
Wie sieht diese optimalerweise aus?
Kinder müssen so früh wie möglich lernen, wie Digitalisierung funktioniert – und mit Lego zu bauen, ist auch schon rudimentäre Programmierung. Hier schon kleinkindgerecht erste Basics hinsichtlich Algorithmik oder Programmierung zu setzen, kreativ und spielerisch, um im nächsten Schritt Computational Thinking zu etablieren, das wäre fantastisch. Anwendungskompetenz ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt: Die Jugendlichen nutzen Instagram. Und wenn sie das tun, sollten sie auch wissen, wer nach dem Upload ihrer vielen Bilder eigentlich auch noch die Bildrechte hat.
Angesichts akuten Personalmangels in allen Bildungsstätten schwierig umsetzbar …
Natürlich ist mir klar, dass es dafür an Personal und teils auch politischem Willen fehlt. Aber klar ist auch: Unternehmen, die erst mit jungen Erwachsenen zu tun haben, können es letztlich nicht im Alleingang richten – geschweige denn retten! Wir brauchen dringend mehr junge Role-Models in den Familien und Schulen, niedrigschwellig, und nicht Frauen jenseits der 50 – ich sage mal ganz provokativ: alte weiße Frauen –, die jenseits der Lebensrealität vieler junger Menschen sind.
Vielen Dank für das Gespräch!
SAP Women in Tech
Die globale Initiative will Frauen in der Tech-Branche vernetzen, fördern und sichtbarer machen – und das vorrangig mit Fachthemen auf den Bühnen von SAP- und Kunden-Events. Unterstützend laufen im Hintergrund Coachings, Enablements oder auch Storytelling. Mit weltweiten Programmen und viel Networking hilft SAP Women in Tech auch auf dem Weg zu einem wichtigen Unternehmensziel: Bis 2030 einen Frauenanteil von 50 Prozent zu erreichen.
DSAG Initiative: Women@DSAG
Bildnachweis: SAP + Shutterstock, Daniella Winkler
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