Doppelagent Rechenzentrum
Viel heiße Luft und noch mehr Potenzial
Ein Hotel für Server oder doch viel mehr? In den meisten Digitalisierungsprojekten steht die Software im Fokus. Die Hardware dahinter, wie z. B. Rechenzentren, fristet ein Schattendasein. Noch. Denn Anna Klaft, Vice President bei RITTAL Business Unit IT und Chairwoman bei der German Datacenter Association (GDA), erklärt, warum unser Alltag ohne Rechenzentren düster aussähe, was der Branche derzeit zu schaffen macht, und wo die Reise künftig hingeht.
Welche Rolle spielen Rechenzentren heute?
Anna Klaft: Eine sehr wichtige, denn die Nachfrage nach Leistung steigt, und sie wird gebraucht, egal, wo man hinguckt. Sei es für Teams-Calls oder die neu entwickelte App des Automobilzulieferers, zum Streamen bei Netflix oder zum Hochladen von Bildern. Alles, was Menschen in der Hand „halten“, was sie nutzen, hängt immer mit der Leistung eines Rechenzentrums zusammen. Das ist vielen von uns nicht bewusst.
Diese intensive Nutzung bringt viele Herausforderungen mit sich. Welche sind die drängendsten?
Ganz eindeutig der Mangel an Platz und an Energie. Auch das Thema Interkonnektivität spielt eine wichtige Rolle. Damit sich Rechenzentren ohne Zeitverzug vernetzen können, müssen sie für manche Anwendungen in unmittelbarer Nähe zueinander stehen. In Deutschland ist es aber so, dass die meisten Rechenzentren im Großraum Frankfurt aufgrund des dort angesiedelten Finanzsektors stehen und von dort aus regional „weiterwachsen“. Zweiter wichtiger Standort ist Berlin, Tendenz steigend. Viele Unternehmen im Umfeld der Künstlichen Intelligenz (KI) sind dort angesiedelt, und die brauchen entsprechend Kapazitäten. Unterm Strich können wir neue Rechenzentren aber nur dort bauen, wo ausreichend Stromkapazitäten verfügbar sind. Und das ist in Deutschland gerade leider ein sehr schwieriges Thema.
Gibt es konkrete Maßnahmen, die bei der Problemlösung helfen?
Wir können Umspannwerke bauen, und das tun wir auch. Allerdings benötigt ein solches etwa sieben Jahre von der Planung bis zur Fertigstellung. In Frankfurt ist derzeit ein neues Werk mit einer Fertigstellung im Jahr 2030 geplant, und theoretisch wäre es schon jetzt ausgebucht! Wir drehen uns hier leider im Kreis, auch aufgrund unserer eigenen Prozesse, Stichwort Genehmigungen. Alle Bürger:innen, fast alle Unternehmen brauchen Rechenzentren. In direkter Nähe dazu will aber niemand leben. Und die neuen Gebäude müssen zig Anforderungen erfüllen, von der Begrünung der Dächer bis hin zur Zweitnutzung als Büroräume – absolut sinnvoll, wo es denn möglich ist. Wenn Deutschland hier nicht bald komplett den Anschluss verlieren will, muss einiges mehr passieren, denn der Bedarf steigt weiter extrem.
Wie sieht die Unterstützung seitens Politik und Gesetzgebung aus?
Hilfreich wären zum Beispiel differenziertere und realistischere Vorgaben. Neue Regularien wie bspw. das Energieeffizienzgesetz (EnEfG) gehen in die richtige Richtung, sind aber leider nicht bis zum Ende durchdacht. Das Gesetz entstand auf Grundlage einer Direktive aus dem Europäischen Parlament und gibt nun exakte Richtlinien vor, wie man in Zukunft nachhaltige Rechenzentren zu bauen und zu betreiben hat. Und das, obwohl viele Rechenzentrumsbetreiber bereits in freiwilligen Initiativen Mitglied sind, wie etwa im europäischen Climate Neutral Datacenter Pact, um bis 2030 klimaneutral zu werden. Im September 2023 ist nun das Gesetz verabschiedet worden. Das Problem dabei: Es durfte niemand wirklich mitwirken, den es tatsächlich betrifft.
Rechenzentren: Die Branche auf einen Blick
- Zwischen 2012 und 2022 wird ein Anstieg der IT-Anschlussleistung um 90 Prozent verzeichnet.
- Insbesondere Cloud-Dienste treiben das Wachstum: Im Jahr 2022 machen sie 38 Prozent der Rechenzentrumskapazitäten aus.
- Auch der Strombedarf ist gestiegen: 2022 lag er bei insgesamt 18 Mrd. Kilowattstunden (kWh) – 2012 waren es noch 11 Mrd. kWh.
- Die Rechenleistung ist u.a. durch die Weiterentwicklung von Hard- und Software deutlich stärker gestiegen als der Bedarf an Energie: Die Effizienz der Rechenzentren hat sich in den vergangenen Jahren dadurch insgesamt versechsfacht.
- Traditionelle Rechenzentren werden in Deutschland weiter betrieben. Der Edge-Rechenzentrumsmarkt kommt langsam in Schwung.
Welche akuten Mängel sehen Sie?
Ein sehr gutes Beispiel dafür ist das Thema Abwärmenutzung. Jeder Betreiber, der ein neues Rechenzentrum baut, ist verpflichtet, einen fixen Prozentsatz seiner Abwärme nicht mehr in den Himmel zu pusten, sondern sie beispielsweise für Fernwärme zur Verfügung zu stellen, um damit in den nächstgelegenen Wohngebieten Wasser aufzuheizen oder die Fußbodenheizung zu versorgen. Prinzipiell natürlich eine gute Idee. Es stellen sich aber zwei Fragen: Wie soll das überall praktisch funktionieren? Dafür müsste erstens immer ein Rechenzentrum quasi gegenüber eines riesigen Wohnblocks stehen oder andere Abnehmer:innen vorhanden sein. Und zweitens: Wo soll die dafür notwendige Infrastruktur in Deutschland plötzlich herkommen, um die Abnehmer:innen in nächster Nähe beliefern zu können? Und an diese Fragen schließen sich die zwei nächsten an: Wer finanziert diese Infrastruktur, und wird sie bis zum Inkrafttreten des Gesetzes 2026 realistischerweise bereits vorhanden sein?
Gut gemeint, schlecht umgesetzt: Warum kann so etwas immer wieder passieren?
Das ist eine gute Frage. Denn es fehlt uns hierzulande erstens nicht nur an Infrastrukturen, auch technologische Lösungen müssen erst in die breite Anwendung gebracht werden, um solche Gesetze Stand heute erfüllen zu können. Und zweitens stehen wir auch hier wieder vor einem Energiekonflikt. Denn um die Abwärme so hochzuheizen, dass sie heißes Wasser „mitproduziert“, brauchen wir Strom: ein Teufelskreis.
Stichwort Cloud-Lösungen und Künstliche Intelligenz (KI): Welche Konsequenzen sehen Sie hier für Rechenzentren?
Ihr Verbrauch steigt dadurch exorbitant weiter, die Prozessoren müssen immer leistungsstarker werden, um schneller arbeiten und schneller denken zu können. Aber um das erfüllen zu können, muss auch rascher gekühlt werden. Auch platztechnisch erfordert das ein Denken in neuen Dimensionen: mehr Leistung auf weniger Platz. Anstelle 30 Kilowatt sollte ein Rack nun 100 Kilowatt Leistung bringen. Um das erfüllen zu können, muss man anfangen mit Stapeln – also die Racks platztechnisch übereinander anordnen – und auch Kühlungs- und Belüftungssysteme neu denken. Liquid Cooling ist in diesem Kontext ein wichtiges Stichwort. Natürlich gibt es hier wie überall ein paar Vorreiter, aber die große Mehrheit muss noch schnell nachlegen.
Rechenzentrumsbranche boomt
- Die Zahl der in den weltweiten Rechenzentren installierten Server nimmt deutlich zu – zwischen 2015 und 2022 stieg sie um 45 Prozent von 59 Mio. auf 86 Mio. Stück.
- Der Anteil Deutschlands an den weltweiten Rechenzentrumskapazitäten nimmt ab: Waren im Jahr 2015 noch etwa 3,5 Prozent der Server in Rechenzentren in Deutschland, so sank dieser Anteil bis 2022 auf knapp 3 Prozent.
Worauf müssen Betreiber achten, um nachhaltiger und effizienter zu werden?
Hier muss man klar differenzieren. Große Hyperscaler wie SAP, Microsoft, Google etc. brauchen in ihren Rechenzentren eine hohe Zuverlässigkeit und eine schnelle Reaktionszeit, die sogenannte Latenz. Andere Anwendungen, wie beispielsweise aufwendige Simulationen in der Fahrzeugentwicklung, erfordern zwar höchste Rechenleistung, aber keine besonders schnelle Reaktion. Für Letztere können Rechenzentrumsleistungen entsprechend ausgelagert und damit die Nachhaltigkeitsziele unterstützt sowie gewaltige Mengen an Strom gespart werden. In Norwegen betreibt Rittal bspw. ein Rechenzentrum in einer Mine, das mit Wasser aus dem Fjord gekühlt wird. Damit wird eine Power-Usage-Effectiveness (PUE) von 1,1 erreicht – ein Wert, der in Deutschland nur mit immens höherem Aufwand erreichbar wäre. Wir haben weder so kühle Temperaturen, noch liegen unsere Rechenzentren an eiskalten Gewässern. Das Beispiel zeigt deutlich: Es geht weder nur um Richtlinien noch ausschließlich um Technologie. Infrastrukturpartner wie Rittal und die gesamte Rechenzentrumsbranche müssen die Challenge insgesamt annehmen und in neuen Gesamtkonzepten denken.
Und dieses Riesenthema einmal kleiner gedacht: Was könnte der direkte Nutzen für Bürger:innen sein?
Alle Themen rund um Smart Living und Smart Cities werden in kleinen Rechenzentren stattfinden können. Bei Rittal setzten wir u. a. auf Lösungen, wo diese in Containern betrieben und gekühlt werden. Und ein Container kann auf einem Parkplatz stehen, davon hat es auch in kleinen Städten und Gemeinden ausreichend. Hier können auf lokaler Ebene viele tolle und zukunftsfähige Projekte starten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Bildnachweis: RITTAL GmbH & Co. KG
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